Ein Meilenstein

Derweil begeht die Stadt Frankfurt am Main ihre 1200-Jahr-Feier. Berthold Dirnfellner hat dazu »Bitterblue / Frankfurt, literarisch« vorgelegt, ein aufwendiger Band mit einem, wie Dirnfellner es nennt, verwilderten Essay, bestehend aus vielen literarischen Zitaten aus und über die Stadt am Main. Im einzigen literarischen Werk zur 1200-Jahr-Feier der Stadt werden mehrere hundert Autoren erwähnt und zitiert. Darunter auch viele unbekanntere Schriftsteller, junge Nachwuchsschreiber, die Dirnfellner entdeckte und im Literarischen Nachthimmel aufgehen ließ, schrieb die Frankfurter Rundschau – nur die Frankfurter selbst wollen davon nichts wissen, ergötzen sich an Bratwürstchen und Bierständen zum Jubelfest, und das Buch mit dem Hammering-Man auf dem Titel ist einer der heftigsten Flops der Verlagsproduktion. (Das Buch läßt sich aber immer noch gut zur Hand nehmen und bleibt ein feines Lehrstück darüber, wie Stadt funktioniert, sich abbildet, sich strukturiert im Auge des Einzelnen, im Verhalten der vielen, die ihre Bevölkerung bilden …)

Ein großer Erfolg dagegen: Als zweiter Sponsor begleitet die Alessi Deutschland GmbH das Buch von Thomas Schwab »Ablauf der Dinge / 113 Dinggedichte«. Und als dritter Sponsor gibt die Kroschke Sign International, Hersteller von Fluchtwegschildern und Arbeitsschutzkleidung, dem Collage-Roman »fluchtweg« von Adelheid Seltmann das Gesicht. – Beide Partner sind mehr an der Pressearbeit denn an gemeinsamen Veranstaltungen interessiert, aber durch die Partnerschaften mit Alessi und Bahn wird die Wirtschaftspresse auf die Reihe ETIKETT aufmerksam, und eine Serie von Berichten über das Konzept des Literatur-Sponsoring startet. werben & verkaufen führt aus: »Für Dielmann, der seinen Zwei-Mann-Verlag 1993 mit dem bescheidenen Startkapital von 27.000 Mark gründete, hat sich das Sponsoring zu einer entscheidenden Finanzierungsquelle entwickelt. ... Kleine Verlage müssen sich mit der Machete einen Weg durch den Dschungel bahnen, um bestehen zu können.« Und die WirtschaftsWoche sieht im Titel ihres Artikels ab: »Neue Quelle!«

Das Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel führt dazu aus: Dielmann beschreitet neue geschäftliche Wege, um Bücher verbreiten zu können, die ihm Spaß machen.

Mit Einlassungen wie die beinahe kuriose Verbindung von Geschäftstüchtigkeit und Vernarrtheit in die Literatur trennt Dielmann von den meisten Verlegern (Frankfurter Rundschau) und Die Liste der Firmen, die sich inzwischen mit entsprechendem Logo auf dem Cover des Buches präsentieren dürfen, liest sich wie das Who is Who der deutschen Wirtschaft (Kultur News) ist das Konzept einer Buch-Reihe, die Literatur-Sponsoring sowohl als Finanzierungs- wie auch als Distributions- und Werbe-Methode nutzt, bestätigt worden und etabliert.

Um so leichter wird es, die Firma Carl Zeiss für eine Sponsorship der Anthologie »Die Brille des Autors« zu erwärmen: Und die Kooperation zahlt sich aus; denn bis 1995 wird das von Ulrich Faure herausgegebene Buch knapp 12.000 mal verkauft, ein Highlight in der Reihe ETIKETT.

Wigand Lange übersetzt in der 16er Reihe Henry Fieldings frechen »Essay über Nichts«.

Weitere eigenwillige Lesungen ziehen Leser und Neugierige an. So lesen Berthold Dirnfellner, Daniel Böhmer (in Vertretung seines Vaters Paulus), Martin Bullinger und A. Dielmann (Goethes letzten Leibarzt Dr. Carl Vogel vertretend – wo fehlt's uns denn?) in einer zweistündigen Collage-Lesung in der Diskothek »U-Bar 60311« an der Hauptwache Frankfurt. Ralf Rainer Rygulla, einst mit Rolf Dieter Brinkmann Herausgeber der legendären Beat-Anthologie »ACID«, betreibt jetzt die Disko und begeistert sich für die ungewöhnliche Lesung, die ihm einen vollen Saal beschert.

1995 erhält Alban Nikolai Herbst den Grimmelshausen-Preis der Stadt Gelnhausen für seinen schelmenstarken Wolpertinger-Roman. (Wer hat die Fotos aus dem Archiv stibitzt, auf denen der Preisträger, unser Mäzen Udo Reeg, seine Frau und Axel Dielmann angespannt der Laudatio lauschen? Viel schöner ist allerdings nach wie vor das Foto, das Reeg, Herbst, Dielmann bei einer der 33 Frankfurter Wolpertinger-Lesungen im gleichnamigen Restaurant »Wolpertinger« an der Friedberger Warte zeigt – im Hintergrund ein Hirsch-großer, ausgestopfter Wolpertinger, der sich über das muntere Völkchen dieser Lesung verwundert!)

Und 1995 ist das Jahr des 50sten Jubiläums des Landes Hessen – zusammen mit Jürgen Engelhardts Stadtland-Verlag und dem Land Hessen entsteht im Verlag die Geschichts-Illustrierte Hessen wird 50. Dafür sind neue Computer angeschafft worden, neue Programme, der Verlag ist gut ausgestattet – aber es zeigt sich, daß Auftragsproduktionen wohl kaum die klassische Schere aufsprengen können: Entweder es kommt Geld zur Realisierung schöner Bücher herein, aber seine Beschaffung frist die Zeit weg, die für die schönen Bücher nötig ist – oder man hat diese Zeit zur Verfügung, dann aber das nötige Kleingeld nicht … Die Geschichts-Illustrierte jedenfalls blockiert ein vollständiges Halbjahr und wird, wie das gesamte Landesjubiläum mit seinen konzipierten Giga-Events, ein Flop. Guten Gewissens also zurück zur geldverschlingenden Literatur-Produktion!

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