Der Puff der Buchmesse

Dieses rote Plüsch-Bordell im Stand gleich neben den Kollegen vom DuMont Literatur-Verlag bringt uns die Nominierung zum »Schönsten Stand der Buchmesse« ein – die dann von der Messeleitung zurückgezogen wird, weil der Stand mutmaßlich von einem Messebauer aufgerichtet worden sei – dabei war dieser Stand vollständig Handarbeit von Caro Forkel, Elke Roth-Dielmann, Alex Fuß (jetzt Böttcher), Karl-Burkhard Haus, Martin Petrus und Axel Dielmann. Ehrensache! Offen gesprochen war dies ist eine der miesesten Enttäuschungen, die man der liebenswerten Mann- und Frauschaft am Stand (und es gibt sogar fotographische Belege für den Eigenbau!) hatte antun können.

Daß alle oben Genannten sich die weitere Freude an den Reaktionen des Publikums auf den Stand und an der Wahrnehmung der präsentierten Bücher dennoch nicht vermiesen ließen, spricht für die großartige Begeisterung, mit der sie diese Messe begleitet und bereichert haben! – Und apropos: Alle zu nennen, die je bei diesen Messen mit am Stand waren, und das heißt auch, alle Praktikantinnen und Praktikanten, die im Verlag gearbeitet haben, bislang rund 70, würde den hiesigen Rahmen sprengen. Aber ein herzliches Dankeschön soll ihnen allen hier gesagt sein!

Allerdings wirft sich angesichts des Buches Hinter den Wolken ist der Himmel blau von Trixie Hübschmann (und Karl-Heinz Schmidt-Lauzemis als Herausgeber) die Frage auf, inwieweit es wirklich lohnt, jedenfalls für einen kleineren Verlag lohnen kann, »Publikumstitel« – im Sinne von Büchern mit marktgängig anmutenden, aktuellen Themen – zu versuchen. Denn eingedenk des mächtigen Aufwands bei der Plazierung von Trixie Hübschmann in diversen Talkshows blieben die Verkaufszahlen letztlich doch relativ bescheiden – und auch das, was an gesellschaftlicher Grundsatz-Diskussion sich daraus generieren ließ, war eher mager. Es scheint entschieden vernünftiger, die vorhandene Kraft und die überschaubaren Mittel auf das zu werfen, worum es eigentlich geht: auf die Literatur. (Womit nichts gesagt ist gegen Trixie Hübschmanns Buch, das in seiner ungeschminkten Direktheit und Offenheit in der Erzählung einer sehr besonderen Lebenswelt und -weise unbedingt lesenswert ist und bleibt.)

Der 6. November 2003 ist einer der Tage, an denen langjährige Mühen belohnt werden: Olaf Velte erhält für seine Gedichte aus Ein Kragen aus Erde in Dortmund den Förderpreis der Deutschen Schiller-Stiftung. Wulf Kirsten hält die Laudatio. Mit Olaf Velte werden Ror Wolf und Christa Reinig ausgezeichnet. – In den gemeinsamen Gesprächen mit Olaf Velte nähert er sich der Idee, ähnlich wie zu Grabbe eine Erzählung über Eduard Mörike zu schreiben, der im nächsten Jahr seinen runden Geburtstag hat. Zwar darf man sich Mörike im Gegensatz zu Trunkenbold Grabbe als eher über-beschauliche Figur vorstellen, der Olaf Veltes großem Talent zur Gestaltung von hoch intensiven Momenten wenig rauschhaftes Leben zu bieten vermag – aber die ländliche Verwurzelung von Mörike reizt Velte, die Sturheit des Lyrikers Mörike über alle Lebenswidrigkeiten hinweg ist eine Gemeinsamkeit, die etliche Wesensverschiedenheiten beiseiteschiebt. Neben mir sitzt einer, der sich Mörike nennt, stellt Velte einmal fest.

Im Januar 2004 verläßt Dr. Wolfgang Jahrreiss, Vorstandsvorsitzender der Gardena AG und unser Herausgeber der Garten-ETIKETTen, das Unternehmen – und damit kippt die erfolgreiche Garten-Bibliothek. – Während in Feuilletons und unter Autoren immer wieder einmal gefürchtet wird, daß der Haken an Literatur-Sponsoring der mögliche Einfluß von Unternehmen auf die literarischen Texte sei, ist der eigentlich Schwachpunkt daran ein ganz anderer: Nämlich die Tatsache, daß in den relevanten Unternehmen (für die von der Größe her gesehen Sponsoring eine sinnvolle und nützliche Maßnahme darstellt) die Persönlichkeiten zu schnell wechseln! Zwar ist es für ein Unternehmen und sein Management schon zeitlich gar nicht zu leisten, in Texten herumzuredigieren; dafür aber geht die Identifikation mit Literatur stets über einzelne »Köpf« in einem Unternehmen – und wenn die rollen oder sich anderweitig fortbewegen, ist es oft mit der Identifikation vorbei. – Bei zunehmender Hektik und Fluktuation bis Unruhe in der Wirtschaft, ist dies ein schweres Handicap für Literatur-Sponsorships und die Reihe ETIKETT. Und die steigenden Rotationsgeschwindigkeiten im Personalkarussell sind insgesamt ein Todesurteil für alles, was da gelegentlich arg fahrlässig als »Unternehmens-Kultur« bezeichnet wird. – Um so erfreulicher die Unternehmen, in denen wirkliche Kultur vorherrscht. Und vielleicht ist die zu dünne Identifikation mit der unterstützten Literatur in den Unternehmen (und das heißt letztlich unter den Mitarbeitern der Firmen) auch eine Herausforderung an die »Sponsor-Nehmer«: In dem Sinne nämlich, daß IN den Unternehmen ebenso Veranstaltungen und Präsentationen der Bücher und Autoren vorgenommen werden müßten wie bei den Kunden der Unternehmen. Kulturgüter, das gilt es wohl zu lernen, müssen nachhaltig implementiert werden, bevor sie reichweitig distribuiert werden können, Ästhetik muß innen angekommen sein, bevor sie nach draußen eingesetzt werden kann …

Ein freudvoller Ausgleich zum eingebüßten Band 3 der Literaten im Garten erscheint im Januar mit dem Buch Treibgut / Warmzeit – Prosa von Wolfgang Haak, der zusammen mit Wulf Kirsten und einigen anderen Künstlern und Schriftstellern in Weimar eine Oase an kulturellem und intellektuellem Austausch betreibt. Hier soll schlicht Wolfgang Haaks Heringbude empfohlen werden, die am Seiten-Ende hiesiger »Töpfe« im Grundriß zu besuchen ist.

Ebenfalls im Frühjahr 2004 erscheint Sibylle Nicolais Roman Wer wählt, wird Millionär. Eine rund 2 Zentimeter dicke Pressemappe wächst und über ein Dutzend Fernsehauftritte vermitteln die im Buch satirisch geschilderten Auswüchse von Wahlkampfmaßnahmen und Absurditäten von Politikerstrategien.

Erstmals ist der Verlag im März 2004 mit einem eigenen Stand auf der Leizpiger Buchmesse vertreten. Imke Bunge, die für ein Jahr lang ein Volontariat im Verlag absolviert, und Karl-Burkhard Haus sind mit in Leipzig, die Pension Stüwe gibt uns freundliches Quartier – das gleichwohl wenig genutzt wird: An jedem der Messe-Abende gibt es im Internet-Café »Magapon« eine Nacht-Lesung, denn um 22.30 Uhr lesen an den drei Abenden Ewart Reder, Wolfgang Haak und Trixie Hübschmann. Mit jeweils über 100 Gästen ein schöner Erfolg.

Am 11. März die gruselige Nachricht, daß zwei Tage zuvor Tarek Dzinaj, der lebenslustige Erzähler von müde, auf einem Flug von Istanbul zurück nach Frankfurt an einem Herzversagen gestorben ist. Keine schöne Aufgabe, einen Nachruf zu schreiben. Aber es gilt: An den Autor des Romans »müde« und zahlreicher vergnüglich skurriler Erzählungen als an »Dr. med. Tarek Dzinaj« zu denken, ist fast ungebührlich seriös: Wer den Autor Tarek Dzinaj in einer Lesung erleben konnte, die er vorzugsweise mit dem Gitarristen Georg Krostewitz (Frankfurt) absolvierte, der wird auch erlebt haben, wie seine Lustigkeit anstecken konnte: Mindestens einmal kam er in jeder Lesung an eine Stelle, in deren burleske Komik er sich lesend so hineinsteigerte, daß er schier nicht weiterlesen konnte vor Lachen. Ein keckerndes Lachen, das sich zügellos ins Lauthalse steigern konnte. Er schaute dann gerne fragend in sein Publikum, verblüfft, wenn man seine Belustigung über die Schrullen seiner Figuren nicht sogleich teilen wollte. Wenn er aber schließlich weiterzulesen fähig war, dann ging dies eben doch nicht – weil das Publikum sich inzwischen so sehr von seinem Lachen und Kichern hatte anstecken lassen, daß für Minuten kein Vorankommen mehr war.

Seine ersten Prosatexte druckten die ihm seit Jugendtagen befreundeten Herausgeber der Zeitschrift »Büch(n)er« ab. Parallel schrieb er an Episoden über eine fetzige Clique deutsch-türkischer Jugendlicher, die ihren Schabernack zwischen Istanbul und Frankfurt trieben – Erzählungen, die noch nicht das Cliché der kurz darauf unter dem Label »Kanaksprach« erfolgreich gewordenen türkisch-deutschen Literatur nutzten. Tarek Dzinaj hatte vielmehr hellste Freude an jenen Eigenwilligkeiten seiner lebenshungrigen Figuren, die von den generellen Befremdlichkeiten provoziert werden, wie sie offenbar jedes Individuum gegenüber der es umgebenden Gesellschaft empfinden muß. Diese Episoden faßte er schließlich in seinem Roman »müde« zusammen.

Tarek Dzinaj war nach einer Kinderkrankheit schief gewachsen, eher klein, aber »ein Kerl mit ziemlich breitem Kreuz«, würde er wohl gesagt haben. Den Schalk hatte er vielleicht in so großem und gewinnendem Ausmaß in seinen Augen, weil er den Moment erster Begegnungen mit ihm zu überbrücken gelernt hatte, der bei vielen aus Betretenheit aufgrund seiner Behinderung einerseits, Verunsicherung über seine kräftige Statur andererseits kam. Man durfte den Eindruck haben, daß es ihm eine diebische Freude machte, Menschen mit seinem Lachen und seiner Freundlichkeit zu gewinnen. Und er hat viele gewonnen. Und er ist uns schmerzlich verloren.

Am 10. Mai 2004 richten die zwölf Frankfurter Publikumsverlage zusammen mit dem Schauspiel Frankfurt im Schauspielhaus den ersten »Langen Tag der Bücher« ein: Von 11 Uhr bis 23 Uhr präsentieren die Verlage im Stundentakt der Reihe nach etwas aus ihrem aktuellen Programm. – Um ein bißchen mehr, als nur einen Titel zum Zuge kommen zu lassen, lesen wir eine Text-Collage von und mit Thomas Schwab, Olaf Velte und Jack London, vertreten durch A. Dielmann. Da die Veranstaltung auf den Muttertag fällt, sind die collagierten Textauszüge solche, die die Stimmen von Müttern wiedergeben. Ein voller Saal mit 120 Gästen lauscht gebannt der Mutter von Mörike (O. Velte) und Jack Londons Delinquent Darryl Standing (aus »Die Zwangsjacke«) und Thomas Schwabs Südsee-Müttern (»Seligenstadt – Papeete«, noch unveröffentlicht).

Im September findet in Frankfurt das 2. Literatur-Festival statt. Der Verlag richtet dazu die 1. Literarische Schnitzeljagd durch Frankfurt ein: Gegen geringe Startgebühr kann man einen rätselhaft vorgegebenen Parcours durch die Stadt bewältigen und dabei Fragen an und zu Orten und Plätzen der Frankfurter Literatur- und Kultur-Geschichte lösen. In den Kategorien »zu Fuß« und »auf Rädern« werden zuletzt die ersten 10 Zieleinläufer/innen, die alle Fragen richtig beantwortet, alle Rätsel klug gelöst haben, mit Buchgeschenken und feinen Abend-Essen belohnt. – Eine mächtige Gaudi, und ein reizvoller neuer Blick auf die Stadt am Main und ihre Geschichte – und vor allem, anders als bei Dirnfellners »Bitterblue / Frankfurt, literarisch«, ein begeistert und neugierig teilnehmendes Frankfurter Publikum.

Marie-Luise Schwarz-Schilling wird mit Ihrem thesenreichen Buch Die Ehe – Seitensprung der Geschichte Autorin des Verlages. Am 18. September wird das Buch in der Vertretung des Saarlandes beim Bund in den Ministergärten Berlin vor großem Publikum im Rahmen einer Podiumsdiskussion mit Claudia Roth, MdB, mit Claudia Henne vom RBB Kultur Radio und Kultursoziologe Eike Gebhardt vorgestellt. – Es folgt eine lange Serie von Lesungen und Diskussionsveranstaltungen mit Marie-Luise Schwarz-Schilling. Als Archäologin, Unternehmerin und Politikerin stellt sie das gar nicht so alte, gar nicht so einzigartige Prinzip Ehe auf den Prüfstand, hält historische Alternativen dagegen, entdeckt die Herkünfte und Ausprägungen anderer Modelle des paarweisen Zusammenlebens und wägt Möglichkeiten des Kinderaufziehens in nicht-ehelich geprägten Gemeinschaften ab. Über ein Podiumsgespräch mit HR-Redakteurin Ulrike Holler schreibt der Kreis-Anzeiger Büdingen: Die Ehe ist keine anthropologische Konstante, sie entsprach dem politischen Willen einer bestimmten Epoche der Weltgeschichte ... In der Tat führt das Buch von den steinzeitlichen Sippenordnungen, in denen es keine Herrschaft durch sexuelle Kontrolle gab, zur Revolution der Patriarchen mit der Ehe als Resultat. Deutlich wurde, daß die Sippe von den Paarungspartnern unabhängig war und Frauen als Sammlerinnen weitgehend autark in der Nahrungsbeschaffung waren, während Männer sich mit Fleischgaben immer wieder Zugang in die Frauensippe verschafften. Frauen hätten in der Sippe dominiert, sie hätten den Ackerbau erfunden oder die Tiere domestiziert. Verehrt worden sei damals die Große Mutter als Ahnin des ganzen Stammes … Die Frage, warum schließlich die frauendominierte Sippe unterging, beantwortete Schwarz-Schilling damit, daß sich durch Kriege das Machtgefüge in die Kriegergruppen verlagerte.

Kurz vor dem 200sten Geburtstag von Eduard Mörike wird Olaf Veltes Erzählung Neben mir einer, der sich Mörike nennt fertig. Das Buch hat einen eigenwilligen, von Martin Noz wiederum schönst gestalteten Schutzumschlag, der eine Neuerung des Verlages darstellt:

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